Hermann Graber . Lebenskünstler . Aufrührer

Der rebellische Lebenskünstler ist bekannt in Hall und über die Grenzen hinaus. Er gehört zum Stadtbild wie die verschiedenen Brunnenstatuen, und versorgt uns mit seinen Wortspenden.

Hermann Graber ist ein Unikat.

 

Nicht alle können etwas mit ihm anfangen, aber der Vertreter der Kontroverse hat kein Problem damit.

 

 

Der doppelt Steinbockgeborene kam im Jänner 1954 zur Welt und ist somit gerade 70 Jahre alt geworden.

 

Im selben Jahr wurde die Zeitung „Der Brenner“ (Onlinearchiv) 1910-1954 eingestellt – Zufall oder nicht!? „Dieser Haller“ hat jedenfalls die anfänglichen Ideale der sich auflehnenden Kulturpresse in seinem Leben fortgeführt.

 

Als einer von drei Söhnen wuchs Hermann in einem vom Schmiedehandwerk geprägten Umfeld auf. Sein Vater war Kunstschmied und sein Onkel, Alfons Graber und dessen Frau waren Künstler (Maler und Pianistin).

 

Er konnte zwar mit den Stilen und Ausdrucksformen der Werke seiner Verwandtschaft nichts anfangen, aber das Erlernen des Handwerks im familiären Betrieb sieht er als positive Erfahrung. Die Bodenhaftung im Charakter, die Verbindung zur Gemeinschaft und das handwerkliche Geschick haben ihn geprägt.

 

Der Ausbruch nach der Gesellenprüfung in ein unabhängigeres Leben war  vorprogrammiert.

Drei Jahre lang arbeitete er für „Essen auf Rädern“.

Anschließend trat er ein 33 jähriges Arbeitsverhältnis/ „Stipendium“ als Nachtportier beim Haller Nudelproduzenten Recheis an.

 

Seine Arbeit hat er immer pflichtbewusst erledigt und die 11 Stunden Schichten konnte der umtriebige Künstler gleichzeitig für die gedankliche Ausarbeitung seiner Ideen nutzen.

Trotzdem ist er gegen die heutige „Arbeitsteiligkeit“. Die gedankliche Trennung von Leben, Arbeit und Freizeit hält er für den falschen Ansatz.

 

 

Freiheit steht ihm ins Gesicht geschrieben – oder zumindest ins Gesamterscheinungsbild. Denn seine Outfits gehören zu Hermann Graber dazu und sind Ausdruck des eigenen Lebensstils.

Sein Handwerk ist die Kommunikation durch Sprache, verstärkt durch das Äußere und die Symbole in seiner Kunst.

 

Vorbild und Leidenschaft war für ihn immer schon die „russische Seele“ in Form von Literatur, Musik und Kunst. Kasimir S. Malewitsch – Vorreiter der Russischen Avantgarde/ Konstruktivismus/ Suprematismus inspiriert mit der abstrakten Formensprache, Tolstoi der Autor, Anarchist und Pazifist, sowie der Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski und viele mehr beeinflussen sein Denken und Handeln noch heute.

 

Sein Modestil ist unverkennbar. Zu Ehren seiner persönlichen Helden sind alte gebrauchte Pelzkappen und Pelzmäntel in den kalten Monaten ein oft gesehener Begleiter. Mao-Kappe und Kapitänsmütze zählen zu seinen Sommerattributen. Lange graue Haare und Vollbart runden das Bild ab.

 

Die meisten kennen Hermann Graber nur von kurzen Gesprächen oder öffentlichen Statements und Begegnungen mit dem gewissen Etwas.

Er möchte die Leute darauf hinweisen, dass was nicht stimmt in unserer Gesellschaft. Die aktuelle Realität ist laut seiner Wahrnehmung fast ausschließlich von Werbung und Propaganda geprägt und auf einem völlig falschem Weg.

Damit hat er wohl nicht ganz unrecht!

 

Hermann besitzt weder ein Handy, einen Fernseher und einen Computer schon gar nicht. Nur ein Telefon mit Festnetzanschluss, samt Anrufbeantworter, den er sehr ungern bedient, steht in seiner Wohnung.

Er lebt in der Realität und kommt auch ganz gut ohne die Digitale Welt zurecht. Ich treffe ihn meist zufällig bei meinen Spaziergängen durch die Altstadt von Hall, in Museen oder zu Ausstellungseröffnungen.

 

Die Glocke der Pfarrkirche schlägt zehn Uhr als ich in die Eugengasse einbiege und schon sehe ich den hageren großgewachsenen Typen wie immer im Gespräch mit einem Passanten.

Wir begrüßen uns, betreten das Altstadthaus und gehen gemeinsam die Treppen hoch in Richtung oberstes Wohngeschoss, wo sich sein Reich befindet.

„Jetzt vorsichtig eintreten bitte“ wird mir erklärt, da die doppelflügelige Tür nur einseitig zu öffnen ist und warum das so ist, versteht man, wenn man sich plötzlich mitten im Atelier des freischaffenden Künstlers befindet.

 

„Dies ist mein persönlicher geistiger Dschungel“

 

Die großzügige Verglasung belichtet den, durch den Einschnitt in das Dach erhöhten, in weiß gehaltenen Raum optimal und gibt gleichzeitig den Blick auf die Dächer der Altstadt und die Berge frei.

„Man gönnt sich ja sonst nichts.“

Diese Räumlichkeiten sollen früher bereits von Franz Xaver Fuchs (1868-1944), dem Haller Freskenmaler, als Atelier genutzt worden sein.

Es befinden sich einige Möbelstücke vor Ort, wie Tische, drei verschiedene freie Sessel und viele besetzte Stühle, sowie kleine Regale und ein Perserteppich, welche hauptsächlich als Unterlagen für seine Kunst dienen. Alle seine Sammelstücke sind akkurat ausgerichtet und was noch wichtiger ist, sie bilden hunderte kleiner Ensembles, welche zueinander in einer besonderen Beziehung stehen.

 

Wir setzen uns auf die freien Sitzplätze und ich erhalte eine kleine geistige Führung durch den Dschungel der hier ausgebreitet vor mir liegt.

 

Der Kunstsammler und Bewahrer der Dinge, welche sichtbare Spuren der Geschichte aufweisen, arbeitet mit der Macht der Phantasie. Die Vorstellungskraft wird trainiert und seine Gesellschaftsgruppen aus Gegenständen – ähnlich einem Puzzle oder Rätsel, führen den Geist in unbekannte Gefilde. Ich kann mir vorstellen, dass seine Kunst, die gegenständlich und gleichzeitig abstrakt ist, zur Anregung der Synapsen und zur Erweiterung der Sinne beiträgt.

Alle gesammelten Objekte sind gleichzeitig Medien für seine Kunst. Die Bücher werden immer wieder gelesen und die Zusammenstellung der Gruppen ab und zu überarbeitet.

„In der Kunst steht die Zeit still“, erzählt mir der Belesene, während er mir eine leere Leinwand mit einem kleinen Riss zeigt, in welche er ein Pendel (Teil einer alten Pendeluhr) gesteckt hatte und dieses mit „Kunst“ beschriftete, um „die zeitlose Zeit kosmisch pendeln zu lassen“

 

Die große Sammlung von Skulpturen indigener Völker Afrikas und der ganzen Welt ist nicht ohne Grund ein Hilfsmittel von Graber Hermann. Er bewundert die Lebensform von Menschen im Einklang mit der Natur und deren kulturelle Ausdrucksweise in der Kunst mit starkem Symbolcharakter. Archaische Gesellschaften bestanden meist aus kleineren Verbänden und schufen sich ihre eigene Lebensweise.

 

©cjas

 

Hermann sieht sich gerne in der Rolle eines Schamanen und bewundert diese unverfälschten Gesellschaftsformen mit universellem Weltbild.

 

Eine weitere Anordnung seiner „Findlinge mit Geschichte“ zeigt das Verhältnis von Mensch und Tier. Vier menschliche Totenköpfe auf einem runden Teller aufgestellt, umkreisen einen tierischen Schädel. So viel könnte ich hier hinein interpretieren… Wir zerstören die Natur, aber dann auch uns selbst. Die Platte könnte die Erde darstellen und die Zahl vier, sowie die einzelnen Buchstabenklötze dazwischen sind weitere Hinweise.

 

©cjas

 

„Der Sinn hinter der Abstraktion ist die Reinigung und Befreiung des Blickfeldes“

Dieser Satz ist auch in Bezug auf sein Atelier perfekt anwendbar! Wichtig ist es den Fokus auf eine Sache zu legen.

Eigentlich geht es den Menschen im Alltag nicht viel anders, als dem Besucher dieses Ateliers. Man ist einer dauerhaften Reizüberflutung ausgeliefert und muss viel, oder manchmal alles ausblenden, um nicht abgelenkt zu werden. Es geht darum sich dessen bewusst zu werden.

Hermann Graber sieht seine Sammlung als eine Art Erweiterung seines gesammelten Wissens und  „universelles Gedächtnis“. Wie in einer Bibliothek kann er jederzeit auf einzelne Informationen zugreifen.

 

Max C. F. Beckmann (1884-1950) ist sein Liebling. Der Maler, Bildhauer, Autor, Grafiker und Hochschullehrer als ausdrucksstarker Vertreter des sachlichen Expressionismus hat seinen ganz eigenen Weg gefunden seine Gedanken in erzählender Form auf die Leinwand oder auch auf die Weltbühne zu bringen.

In seinen Bildern wird die Welt zur Bühne und eine Einteilung in Autor, Spielleiter, Schauspieler und Zuschauer vorgenommen. Jeder wird einer Rolle zugewiesen und hat diese zu erfüllen. Schon in der Antike hat Platon den Begriff der Weltbühne geprägt.

Und ist das Leben ein einziges Theaterstück, so frage ich mich welche Rolle Hermann Graber spielt?

Seine Antwort lautet: „Eine Totale“

 

Die Theorie der „sozialen Plastik“ besagt laut Josef Beuys, dass jeder Mensch ein Künstler ist und die Möglichkeit hat die Welt mit seiner Kreativität positiv zu verändern.

 

Die Welt ist nur durch Zauber und Schönheit zu retten

Das Bewusstsein zu erlangen, dass die Welt und die Natur zauberhaft und schützenswert ist, sollte heutzutage jedem aufrecht gehenden denkenden Menschen klar sein, doch leider scheint das Wissen nicht großen Einfluss auf Entscheidungen und Handlungen des Menschen zu haben. Vielleicht hilft da wirklich nur mehr ein ganz starker Zauber…

 

Anlehnungen an das  „Schwarze Quadrat“ von Malewitsch kommen als Formensprache auch immer wieder im Wirken des Haller Kunstschaffenden vor.

„Das Gemälde Das Schwarze Quadrat wurde zum ersten Mal am 7. Dezember 1915 bei der letzten futuristischen Ausstellung 0,10 in der Galerie Dobytčina in Petrograd (Sankt Petersburg) gezeigt. Es wurde dabei an der höchsten Stelle einer Ecke des Raums mit der Bildfläche leicht schräg nach unten befestigt, umgeben von anderen Bildern Malewitschs. Das Schwarze Quadrat nahm damit die Position ein, die in einem traditionellen russischen Haus einer religiösen Ikone vorbehalten ist.“

by WikiArt.org

 

„Was ist Kunst?“ beantwortet Hermann Graber mittels Zerteilung des Wortes folgendermaßen:

K“uns“T

Es geht um das Uns, also die Menschen und das Leben an sich!

 

„Kunst ist Kampf und Entspannung zugleich“ Wenn man nicht für die Kunst kämpft und alles gibt, landet man schnell bei Dekoration. Das Lebensgefühl des Widerstands ist einer der Grundpfeiler seines Denkens und der Genuss der Kunst im Allgemeinen macht wiederum Lust auf mehr.

 

Seine symbolische Sprache soll und kann man mit allen Sinnen spüren. Runde rote, gelbe, blaue Bälle, eingequetschte Weltkugeln, geometrische Formen im allgemeinen, altes Treibholz in Fischform oder mit wahrnehmbaren Gesichtern, Stöckelschuhe, Portraits von Politikern und Künstlern, Vasen in Raketenform, Eiswürfelsilikonform mit Fischmuster, Kleidungsstücke, Spielzeug,…

 

©cjas

 

Alle Gegenstände werden vergleichbar mit einem ready-made im Stil von Marcel Duchamp zur Kunst erhoben und bekommen einen neuen Zweck. Da fließt auch der Dadaismus und Surrealismus mit ein.

 

„die Symbole gehören uns“

 

In seiner Kunst verwendet Hermann Graber alle Symbole, um diese von dogmatischen Begriffen zu reinigen.

Die Farben und Symbole, welche in der Geschichte von politische und religiösen Mächten missbraucht wurden, sind frei und schaffen doch die typischen Erinnerungen. Hermann spielt mit diesen Altlasten. Ihm geht es um die Entrückung und Neupositionierung, sowie die Suche nach dem Ursprung dieser  Bildzeichen.

 

 

 

Langeweile ist ein Fremdwort und Freizeit ein Unwort.

Mit dem Lesen von Fachbüchern und Literatur, dem Gestalten von Bühnenbildern fürs Kellertheater, der Gesellschaft von Menschen, Reisen nach Griechenland und Sardinien, dem Wandeln in der Natur, dem Sammeln von gebrauchten Gegenständen mit Geschichte, dem genießen von klassischer Musik und den Klassikern der Rockmusik, dem Besuch von Vernissagen und allen möglichen Veranstaltungen und dem Austausch mit Gleichgesinnten verbrachte er seine Zeit und tut es teilweise noch immer. Alles zum „Hirnkastl anregen“ ist eine Bereicherung!

 

Zum Thema Frauen bekam ich folgende Auskunft:

Hermann ist gegen die Ehe – diese sei „der Tod der Liebe“ Trotzdem verfasste er Bekannten zu Liebe folgende kurze Ansprache zu deren Hochzeitsfest:

 

„Die Frau ist alles

alles der Mann

der sieht, dass die Frau alles ist“

 

Bei der Beziehungen zum weiblichen Geschlecht kann er folgende Lebensweisheit weitergeben:

„Hast du keine Frau

hast du alle Frauen“

 

Es geht ihm nicht um eine sexuelle Verbindung, sondern um die Ehre die Gesellschaft von Frauen genießen zu dürfen, ohne einem System verpflichtet zu sein.

Er lebt sein Leben und zieht seine Kreise. Früher waren diese größer und die Wege weiter. Heute fühlt sich alles etwas näher an und er konzentriert sich viel mehr darauf  „die Reise nach Innen anzutreten“.

 

©cjas

heaven can wait…

 

Hall ist sein Stützpunkt und seine Heimat – hier kennt er die Leute und Gassen wie seine Pelzmanteltasche. Und vor Gesprächen mit Fremden hat er keine Scheu.

 

Auf die Frage, warum er nie seinen Lebensmittelpunkt gewechselt hat, kam prompt die Antwort „ich lass mich nicht vertreiben, weil hier mein Leben begann und wahrscheinlich auch endet“

Ich nehme an, dass das auch nie jemand vor hatte, oder doch?

Auf jeden Fall schafft Hermann es immer wieder einmal einem Geistlichen oder Politiker seine gegensätzlichen Ansichten kund zu tun und eine Diskussion anzustimmen!

Kunst und Humanität sollte die einzige Religion sein, denn alle Gesellschaftssysteme sind zum scheitern verurteilt, so der Kritiker im Geiste.

Wenn er mit Banane bewaffnet zu Vernissagen herein spaziert, hat er natürlich geplant, niemanden damit zu bewerfen, aber meist reicht die reine Androhung für einen guten Auftritt zu sorgen.

Gegen das System und gegen Religion tritt der Haller Don Quijote den Windmühlen der heutigen Gesellschaft entgegen.

 

Zusammen mit seinen guten Freunden Helmut Schiestl, Walter Engel, Andreas Alföldy und Ingrid Waltl gründete er vor vielen Jahren die Galerie „Erdbeben“ in Hall, um jungen Freidenkern eine Plattform zu geben.

 

©cjas

 

Die abstrakten Umrisse seines Kompagnon Helmut Schiestl, einem Tiroler Schriftsteller, hat Hermann hier verewigt!

 

Aktuell ist er Unterstützer der gemeinnützigen Galerie „moto“ in der Eugenstraße 11 in Hall.

Also fast direkt vor seiner Haustüre…

Roman Bauer und Nora Meth leiten dieses temporäre Experiment, um der modernen Kunst in Hall in Tirol einen Platz zu bieten.

galerie moto facebook

Ausstellungseröffnung Hans Grosch: Galerie moto: (meinbezirk.at)

Aus dem Nischendasein ins Scheinwerferlicht: Das Projekt GALERIE MOTO – komplex-KULTURMAGAZIN

 

Wer Hermann kennt, lädt ihn gerne mal auf ein Getränk ein, oder schenkt ihm eine Zigarette. Das ist einfach Tradition, denn Geld spielt keine Rolle!

 

Er kommt am liebsten spontan zu Besuch, was heutzutage ja leider nicht mehr üblich ist. Freiheit bedeutet ihm Alles und Kunst lebt er kompromisslos jeden Tag aufs Neue.

 

Ich bedanke mich für die Einsicht in dein Leben, den Blick hinter die Kulissen der Kunst und freue mich auf zukünftige anregende Gespräche!

 

 

 

Der Text und die Fotos in diesem Beitrag sind urheberrechtlich geschützt und stammen von Claudia J.A. Lechner (©cjas)


Kommentare

3 Antworten zu „Hermann Graber . Lebenskünstler . Aufrührer“

  1. Avatar von Helmut Schiestl
    Helmut Schiestl

    Schöner Artikel über den Haller Künstler Hermann Graber! Ganz am Anfang ist der Autorin leider ein kleiner Fehler passiert: Die Kulturzeitschrift „Brenner“ wurde 1954 wohl nicht eingestampft sondern eingestellt. Eingestampft würde ja heißen, man hätte alle Exemplare vernichtet. Was ich wohl nich annehme.

    1. Hallo Helmut! Danke für deine Mitarbeit – da hab ich wohl das falsche Wort gewählt!
      Leider sind die Diskokugeln jetzt wirklich nicht mehr da… lg Claudia

  2. Ein weiterer spannender Einblick in das Leben eines tiroler Künstlers.

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