Ein Freund hat mich auf den Innsbrucker Künstler aufmerksam gemacht, gleich nachgefragt, ob Interesse besteht und mir seine Kontaktdaten übermittelt.
Danke Robert!
Ich kannte die öffentlichen Rauminstallationen von Thomas Medicus innerhalb von Innsbruck bereits und habe mich sehr gefreut, dass er sich Zeit genommen hat, um mir und somit uns einen Einblick in sein Schaffen zu geben.
Seine Werkstatt befindet sich in der Nähe der Bäckerei (=Kulturbackstube) in Innsbruck. Über ein Tor gelangt man in einen Innenhof und von dort aus ins Stöckelgebäude und somit in eine Welt aus Glas und Kreativität.
studio medicus ©cjas
Alles wirkt sehr strukturiert und der große lichtdurchflutete Raum bietet Platz für die einzelnen Arbeitsschritte, Pflanzen und die Präsentation der Kunstwerke.
Beim Bearbeiten von Glas lernt man einen achtsamen Umgang mit dem Material und das exakte Arbeiten. Sonst kann viel zu Bruch gehen!
studio medicus ©cjas
Die Kindheit und Jugend von Thomas Medicus war geprägt von Wissenschaft, vielen Reisen und der Leidenschaft Neues zu erforschen und zu hinterfragen.
Diese Lebensgrundlagen, welche seine Familie ihm bot, hat er aufgesogen, unbewusst gespeichert, und für seinen ganz individuellen Lebensweg mitgenommen.
Nach dem Studium für Soziale Arbeit am MCI war der Wunsch gewachsen, seine Leidenschaft zum Zeichnen und Malen auch beruflich anzuwenden und der Auslöser, eine weitere Ausbildung mit kunsthandwerklichem Hintergrund anzuschließen.
Die Wahl fiel auf die Fachschule für Glastechnik und Gestaltung in Kramsach. Hier wuchs während eines 2-jährigen Kolleg die Begeisterung für die Bearbeitung von Glas. Die Glasmalerei gab ihm die Möglichkeit seine künstlerische Begabung auf eine neue Weise auszuleben. Durch den anschließenden Abschluss der Meisterprüfung für das Glaserhandwerk schuf Thomas Medicus somit die Grundlage für eine zukünftige Selbstständigkeit.
Während der anschließenden siebenjährigen Mitarbeit in der
Glasmalerei in Innsbruck konnte er seine Handwerkstechnik weiter entwickeln und das erlernte bereits an eigenen Projekten testen.
Dass seine Ideen anders und besonders sind, konnte man schon in dieser Periode spüren.
Durch das Posten von Videos über seine Objekte wurden die sozialen Medien zum Sprungbrett für seine Kunst.
Viele seiner Werke sind wegen der Integration von Bewegung, Licht und Ton und dem Aufbau von Spannung aufgrund der Verwandlungsfähigkeit sehr gut zur Weiterverbreitung über die digitalen Medien geeignet. Es macht Spaß diese visuellen Sequenzen zu verfolgen!
polyhedra = Polyeder 2024 ©TM
Ein Artikel auf Colossal (medicus thomas — (thisiscolossal.com)), einem amerikanischen Onlinemagazin bzw. Online-Ausstellungsraum, brachte dann den Durchbruch, bescherte ihm internationale Anfragen für Aufträge und Ausstellungen und steigerte seinen Bekanntheitsgrad enorm.
Dies gab ihm die Möglichkeit vor zwei Jahren seine eigene Firma zu gründen.
Neben seiner Kunst bearbeitet Thomas in seinem Studio gleichzeitig immer wieder auch Aufträge für die Restaurierung antiker Glaselemente.
studio medicus ©TM
Auch wenn sein Berufszweig mit vielen anderen zu einem aussterbenden Handwerk zählt, kann er von seinen Aufträgen leben.
Doch was ist es, dass seine Kunst so besonders macht und was steckt dahinter?
Die dreidimensionalen Objekte werden von Thomas Medicus aus Glas, Glas + Holz, Glas + Metall, Glas und Moos in Handarbeit hergestellt. Dabei ist das Material oft „nur“ das Medium, welches die Möglichkeit bietet, ein Träger des Inhaltes zu sein. Gleichzeitig ist das Medium aber auch Teil des Inhaltes.
EBBE 2022 ©TM
„Anamorphe Kunst“ – so betitelt der Innsbrucker Künstler seine Skulpturen mit einem Verwandlungseffekt. Die Information, die man bei genauerer Beobachtung herauslesen kann, ist nicht klar und eindeutig, sondern anamorph, also umgestaltet bzw. verzerrt und nur aus bestimmten Blickwinkeln und Standorten heraus komplett ersichtlich und trotzdem auch wieder nicht.
human-animal-binary = Mensch-Tier-Binär 2022 ©cjas
Die Objekte wirken wie Maschinen, welche von einem Magier erdacht wurden und ein seltsames Spiel mit uns spielen. Manchmal bewegen sich die Werke und ein anderes Mal bewegt man sich als Betrachter selbst um die Werke herum.
Die Vorteile der Verwendung von Glas sind die speziellen Eigenschaften wie Transparenz, Spiegelung und Langlebigkeit, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Es gibt dem Künstler die Möglichkeit mehrschichtig zu arbeiten und das Wesentliche in den Vordergrund zu stellen.
nebulizer = Zerstäuber 2023 ©TM
Fast immer greift Thomas zu mundgeblasenem Echt-Antik-Glas, welches an seine Arbeit als Restaurator von mittelalterlichem Handwerk, wie Kirchengläsern und Bleiverglasungen, anknüpft.
studio medicus ©cjas
Bei den ersten Werken mit 3D-Verklebungen wurden klare Gläser (Floatglas) verwendet. Bei diesen Glasskulpturen spielten Formen und Strukturen die Hauptrolle.
Die Entwicklung der 3D-Objekte in Richtung farbigem Flachglas und verschiedenen Oberflächenbehandlungen, wie sandgestrahlten Flächen oder Glasmalerei zeigt, dass es keine inneren Grenzen gibt bzw. jede Idee im Rahmen des Handwerks ihre eigene Methode der Umsetzung verdient hat.
polyhedra = Polyeder 2024 / Fensterstuhl 2017 ©cjas
Geförderte Kunstprojekte von der Stadt Innsbruck im öffentlichen Raum lassen die Bevölkerung an seinen Ideen teilhaben und bieten jedem die Möglichkeit einen eigenen Eindruck zu gewinnen.
Cone Face, Cone Eye spielen mit der Verzerrung und Entzerrung von Selbstdarstellungen in Zylinderform. Wie ein Globus der aus zweidimensionalen Blättern besteht.
Cone Eye II = Kegelauge II – SOWI Innsbruck ©cjas
Neben dem Glas werden auch oft organische Elemente mit einbezogen, wie Holzstämme und Moos.
crystalis-v = Kristall V 2022 ©cjas
Ökotopie 2023 ©TM
Hier spürt man die Verbundenheit zur Natur und die Frage nach dem, welche Rolle der Mensch innerhalb dieser einnimmt, oder einnehmen könnte?
Kleine skurrile Teilfragmente, welche wiederum wie Objekte oder organische Lebensformen und Grundstrukturen erscheinen, entwickeln sich gemeinsam zu einem Lebewesen und dann erneut zu allen Lebewesen. Wie der Code des Lebens, bei dem die Zellen ein großes Ganzes bilden. Diese Kleinteiligkeit erinnert auch an die kleinen Einheiten einer Bleiverglasung, nur dass diese im Raum verstreut ihre vorgegebene Position einnehmen.
human-animal-binary 2022 ©cjas
Alles verschmilzt zu einem und man spürt die Verbindung zueinander und gleichzeitig die Unendlichkeit des Lebens. Wie Evolution im Zeitraffer.
So ist jedenfalls meine Wahrnehmung – was meint ihr?
In Form von technischen Versuchen mit sozialwissenschaftlichem und ökologischem Hintergrund macht seine Kunst genau das, wofür Kunst stehen sollte – sie versucht das Leben zu erklären und neue Wege aufzuzeigen. Man spürt die Freude am Experimentieren und dem Umsetzen von Ideen!
Thomas Medicus verschmilzt seine Kompetenzen miteinander und lässt uns daran teilhaben, indem er damit offen nach außen geht. Seine Kunst spricht in seinem Namen und verleiht seinen Gedanken Ausdruck – wie schön!
Viele gut durchdachte und lange geplante Schritte stecken hinter jedem Objekt. Die Idee ist der Anfang und Skizzen stellen diese dar. Dann wird alles in dem 3D-Programm SketchUp detailgenau aufgetragen, die Dimensionen festgelegt und ausgearbeitet.
Neben den Skulpturen arbeitet Thomas auch an 3D-Strukturbildern – also digitaler Kunst, Handskizzen, grafischen Arbeiten, Bildern und Ideenbüchern.
Abschnitt „Umgestürzte Bäume“ 2018 ©cjas
Schwarzer Raucher 2022 / Löcher 2014 – 2022 ©TM
Das Musikvideo zum Song Ice Bird 5K HD – Eisvogel (thomasmedicus.at), welches in Zusammenarbeit mit der Illustratorin Myriam Kraml entstanden ist, zeigt eindrucksvoll, wo die Reise hingehen soll!
In einem seiner Skizzenbücher von 2010 habe ich folgende Texte entdeckt, welche vielleicht einen kleinen Einblick in die Gedankenwelt seines frühen Schaffens geben:
„nicht nur die Vergangenheit beeinflusst die Gegenwart und Zukunft der Erlebensgestaltung von Menschen; sondern in zirkulärer Weise beeinflussen auch die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft die Bedeutung der Vergangenheit“
„Lass dich verzaubern von der Welt
Sei wach in der Welt“
„Ich wüsste also wäre ich“
Aktuelle Texte spiegeln die Gedanken rund um seine Projekte wider.
Es fließen immer wieder wissenschaftliche bzw. philosophische Theorien ein, welche versuchen Details des Lebens zu erklären.
So zum Beispiel bei dem Objekt Decoder:
Decoder kann im sprachtheoretischen Ansatz der Performativität verstanden werden:
„Sprache ist nicht nur ein Werkzeug zur Beschreibung der Welt, das entweder richtig oder falsch verwendet wird. Unumgänglich stellt sie Wirklichkeit her, immer bildet erst Sprache das Subjekt.“
Decoder 2023 ©TM
Fragen über die Kunst, den Umgang mit der eigenen Umwelt, der Wahrnehmung und ob die Kunst womöglich in der Lage wäre den Menschen zu beeinflussen und neue Eindrücke weiterzugeben, welche wiederum Veränderung im Innersten auslösen? Was ist wirklich natürlich und was künstlich und was basiert wenn eine Verschmelzung stattfindet?
Hier der link zu seinen Texten!
Für Thomas Medicus bedeutet Tirol und besonders Innsbruck Heimat. Der Künstler fühlt sich hier wohl und sieht keine große Notwendigkeit, durch den Umzug in eine kulturaffine Großstadt mehr Aufmerksamkeit zu erhalten.
Ich finde, dass sein alter Spitzname „Tom der Zerstörer“, den mir der reflektierte Künstler zum Thema Achtsamkeit verraten hat, immer noch anwendbar ist. Es wird zwar kein Glas mehr zerbrochen, aber dafür alte Denkstrukturen und Eindrücke zerstört und wieder neu aufgebaut und verwandelt.
Weitere Anamorphe Glasskulpturen
- head-instructor – Fragmente werden zu Kopfformen
- Wie es ist, zu sein – Würfel – Thomas Nagel– Tierisches Bewusstsein
- Labor für Emergenz = emergence-lab – geschlossener Würfel – 6 Bilder
- Emulgator – Fisch + Vogel – Innenleben + Außenhülle
- …
Hier könnt ihr weiter stöbern und alle Werke von Thomas Medicus entdecken:
Die Fotos und Videos in diesem Beitrag sind urheberrechtlich geschützt und stammen von mir und Thomas Medicus (©TM)
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